Beschaffung von Momentanreserve

Momentanreserve bezeichnet „eine inhärente oder regelungstechnisch umgesetzte Reaktion auf ein Wirkleistungsungleichgewicht, um eine, ggf. auch nur lokale, Überschreitung von Grenzwerten der Frequenzhaltung, die für die Netzstabilität kritisch sein kann, zu verhindern. Unter der inhärenten Reaktion ist die Momentanreserve sowohl aus Synchronmaschinen (Schwungmasse) als auch aus netzbildenden Umrichtern (synthetische Schwungmasse) zu verstehen, die das Ziel hat Frequenzgradienten zu begrenzen. Die Momentanreserve reagiert dabei unverzögert auf kurzzeitige Änderungen des Spannungswinkels, wirkt dem Wirkleistungsungleichgewicht entgegen und begrenzt den Frequenzgradienten im Ursprung. Unter die regelungstechnische umgesetzte Reaktion fallen regelungsbasierte Wirkleistungsänderungen, welche verzögert zur Stützung der Frequenz beitragen."1

Status Quo

Systemauftrennung am 4. November 2006

Die Effizienzprüfung marktgestützter Beschaffung von nicht-frequenzgebundenen Systemdienstleistungen aus dem Jahr 2020 im Auftrag des BMWi kommt zu dem Ergebnis, dass kurzfristig kein zusätzlicher Bedarf an Momentanreserve in Deutschland besteht. Aus diesem Grund ist die marktgestützte Beschaffung dieser Systemdienstleistung derzeit ausgesetzt.

Dem Studienergebnis liegt dabei eine auslegungsrelevante Störung der Primärregelung durch ein 3 GW Leistungsungleichgewicht zugrunde. Die Analysen im Rahmen des Netzentwicklungsplans (NEP2035v2021) zeigen allerdings, dass im Fall einer Netzauftrennung (System Split), wie zum Beispiel am 4. November 2006 geschehen, deutlich höhere Leistungsungleichgewichte auftreten und gleichzeitig aufgrund der Abschaltung konventioneller Kraftwerke weniger Momentanreserve in Deutschland vorhanden ist. Daher sind insgesamt sehr hohe Momentanreservebedarfe erforderlich, die sich zudem regional unterscheiden.

Ausgestaltung im Systemmarkt

Die Ergebnisse des Netzentwicklungsplans waren Anlass für Amprion, eine Studie zur Prüfung des Bedarfs und der Ausarbeitung von Eckpunkten für ein marktgestütztes Beschaffungskonzept zu beauftragen, welches eine zeitnahe Beschaffung und Bereitstellung von Momentanreserve ermöglicht. Hierzu wurden zunächst der zukünftige Bedarf an Momentanreserve sowie die Potenziale zur Bedarfsdeckung in Anlehnung an den NEP untersucht. Die Ergebnisse zeigen unter den zugrundeliegenden Annahmen, einen hohen zusätzlichen Bedarf, der zeitnah eine zusätzliche marktgestützte Beschaffung von Momentanreserve erfordert. Angesichts der durchgeführten Bedarfs- und Potenzialanalyse erscheint es folglich sinnvoll, die von der BNetzA im Jahr 2020 festgelegte Ausnahme von der marktgestützten Beschaffung zeitnah aufzuheben und eine marktgestützte Beschaffung für Momentanreserve, insbesondere zur Beschleunigung der Technologieentwicklung, einzuführen.

Die aktuellen Diskussionen um den Momentanreservebedarf zeigen, wie wichtig es ist, die Systembedarfe sowie auch deren Auslegungskriterien regelmäßig zu ermitteln und zu überprüfen. Dies ist einer der Grundpfeiler des Systemmarktkonzepts. Sollte sich demnach zukünftig ein zusätzlicher Bedarf an Momentanreserve abzeichnen, würde rechtzeitig ein Beschaffungsverfahren eingeleitet und über die Systemmarkt-Plattform durchgeführt werden.


Weitere Informationen

1 Studie „Effizienzprüfung marktgestützter Beschaffung von nicht-frequenzgebundenen Systemdienstleistungen (NF-SDL)“ auf der  Webseite des BMWK